Brief von Christophe HAKIZABERA an die von Ingmar Carlsson geleitete Kommission zur Untersuchung der Rolle der UNO im ruandischen Drama 1994

Christophe HAKIZABERA wurde 1949 in Gitarama geboren, bestand 1971 im Range eines Unterleutnants als Jahrgangsbester die 9. Abschlußprüfung der Offiziersschule Ruandas, floh nach dem Staatsstreich von Generalmajor Habyarimana 1973 nach Uganda, schloß sich 1990 der Ruandischen Patriotischen Front (FPR) an, floh vor dem FPR-Regime 1995 aus Ruanda und lebt seither im Exil.

 

Sehr geehrter Herr Kommissionsvorsitzender,

es ist für mich und das ganze ruandische Volk eine große Freunde, zu erfahren, daß der UNO-Generalsekretär kürzlich eine Kommission ins Leben gerufen hat, die die Rolle der UNO beim ruandischen Völkermord aufzeigen soll

Als einer derjenigen, die seit ihrer Gründung 1990 mit der FPR in Uganda zusammengearbeitet haben, meine ich, daß die FPR verurteilt werden muß, da sie öffentlich andere für von ihr zu verantwortende Taten verantwortlich macht. Ich bin das einzige überlebende ehemalige FPR-Mitglied, das dem FPR-Folterregime entfliehen konnte. Bevor mich - wie Théoneste LIZINDE und Seth SENDASHONGA - ein FPR-Kommando umbringen kann, will ich der Kommission meine Erinnerungen an die FPR übermitteln. Ich wage zu hoffen, daß dieses Dokument der Kommission die von der FPR angewandten Methoden verdeutlichen kann, um die UNO hinters Licht zu führen.

Ich bin der Ansicht, daß es am besten wäre,

1.eine Kommission ins Leben zu rufen, die

a) die ruandische Tragödie seit 1959 bis heute und dabei besonders die FPR-Rolle beim Völkermord und

b) die Tragödie, die die Region der Großen Seen in Zentralafrika verwüstet untersuchen sollte. Die Wahrheit, und zwar die ganze Wahrheit, muß der internationalen Gemeinschaft bekannt gemacht werden.

2. alle die Personen vor ein unparteiisches internationales Strafgericht zu stellen, die sich jedweder Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht haben und

3.eine internationale Konferenz über die Region der Großen Seen zu organisieren und mit Weisheit und Entschlossenheit die nötigen Beschlüsse zu fassen, um das ganze ruandische Volk und seine Nachbarn aus dem selbstzerstörerischen Kreislauf herauszuführen, in den sie eine Clique von Kriminellen gestürzt haben.

Man darf sich nicht länger von den Lügen der FPR an der Nase herumführen lassen, die die Internationalen Gemeinschaft in eine Falle führen und sie erpressen will.

Als Anlage übermittle ich Ihnen das "Die UNO in der Klemme der FPR-Lobby" betitelte Dokument, das ich für die Kommission angefertigt habe.

Ich stehe für weitere Informationen zu Ihrer völligen Verfügung sofern für mich und meine Familie geeignete Sicherheitsmaßnahmen getroffen werden.

Cotonou (Benin), den 10.8.1999

gez. Christophe Hakizabera

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ANLAGE

DIE UNO IN DER KLEMME DER FPR-LOBBY

Die Internationale Gemeinschaft hat sich von der FPR-Lobby manipulieren lassen und die UNO muß heute den Preis dafür bezahlen. Naivität, Parteilichkeit, Oberflächlichkeit, mangelnde Analyse und fehlender kritischer Geist von gewissen Beamten haben den Generalsekretär veranlaßt, das System der Vereinten Nationen mit Hilfe einer Kommission zur Untersuchung der Rolle der UNO in der ruandischen Tragödie zu überprüfen.

Wäre die UNO von Beginn an umsichtig gewesen, hätte sie den Abzug ihrer Soldaten auf dem Höhepunkt der Krise nicht akzeptiert, wodurch die Tragödie verhindert worden wäre, deren Opferzahl man bis heute nicht genau kennt. Man spricht heute von 800 000 Toten, aber ich behaupte, daß diese Zahl weit von der Realität entfernt ist, da man keine genauen statistischen Zählungen unternommen hat. Warum gibt man eine zu geringe Zahl an? Warum will die derzeitige Staatsmacht in Kigali keine Volkszählung und keine Berechnung der Opfer? Viele ungeklärte Fragen lassen die Urheber der ruandischen Tragödie im Dunkeln. Solange diese Arbeit nicht vollbracht ist, kann die FPR und ihre Lobby fortfahren, der UNO, Frankreich und den Interahamwe-Milizen die Verantwortung zuzuschieben, um ihre eigene entscheidende Rolle beim Genozid zu verdecken. Bei der Vorbereitung des FPR-Angriffs auf Ruanda wußten ihre Gründerväter, daß die Tutsi die Rechnung dafür bezahlen müßten, auch wenn sie nicht mit Massakern in diesem Ausmaß gerechnet haben. Alle Prognosen der Exil-FPR und ihrer Sympathisanten kamen einmütig zu dem Schluß, daß der Krieg gegen die Hutu in Ruanda zu einem schnellen Sieg der Tutsi-FPR führen würde und daß man nur mit etwa 500 zivilen Opfern rechnen müsse. Diese Argumente überzeugten den General Fred Rwigyema, der immer gezögert hatte, das Hutu-Regime in Kigali anzugreifen.

Die diesen vielleicht realistischen Ausgangsprognosen zugrunde liegende Strategie kalkulierte allerdings eine mögliche Intervention ausländischer Truppen an der Seite der ruandischen Armee nicht ein, die zur Kriegsverlängerung führte. Als die FPR von der durch Zaire unterstützten ruandischen Armee am 3.10.1990 zurückgeschlagen wurde, mußte man schnell über einen Wechsel der Strategie und Methoden nachdenken. So haben wir die Idee eines klassischen Krieges zugunsten eines Guerillakrieges aufgegeben. Die neuen politischen Strategien wurden bei einem Seminar der FPR in MBARARA im Januar 1991 ausführlich diskutiert. Wir kamen zu dem Schluß, daß man zur Erreichung eines totalen Sieges das Habyarimana-Regime an allen Fronten (militärisch, politisch, diplomatisch und in den Medien) angreifen müsse.

1. Militärstrategie

Um einen militärischen Sieg bei minimalen menschlichen Verlusten zu erringen, optierte die FPR für folgende Maßnahmen:

1.1 Ausbildung militärischpolitischer Kader und ihre Entsendung ins ganze Land, um den FPR-Sympathisanten unter den Tutsi die FPR-Ideologie zu vermitteln. Die erste Ausbildungseinrichtungen wurden in Kabale und Masaka in Uganda gegründet.

1.2 Infiltration kleiner, militärisch gut ausgebildeter Gruppen von 6 bis 10 Personen in das ruandische Staatsgebiet mit dem Auftrag, die Bevölkerung zu terrorisieren, Angst und Schrecken bei der Zivilbevölkerung zu verbreiten sowie Chaos und Unordnung zu schüren, um das Land unregierbar zu machen.

1.3 Installierung von FPR-Brigaden (Milizen) in ganz Ruanda, die am Tage "X" in Aktion treten sollten.

1.4 Vermittlung von Waffenkenntnissen an alle jungen Tutsi mit Hilfe der Brigaden.

1.5 Sammlung von Lagerung möglichst vieler Militärgüter auf ruandischem Territorium

1.6 Rekrutierung möglichst vieler junger Tutsi-Kämpfer zum Schutz der Tutsi-Familien beim Vormarsch der FPR nach Kigali.

2. Politische Strategie

Die FPR-Politik war darauf gerichtet, das Habyarimana-Regime zu diabolisieren und sich selbst als Alternative darzustellen. Zur Erreichung dieses Ziels sollte folgendes unternommen werden.

2.1 Provozierung von Wut bei den Hutu durch Tötung einer großen Zahl ihrer Volksgruppe bei allen militärischen Aktionen.

2.2 Schüren des interethnischen Hasses durch Aufhetzung der Hutu gegen die Tutsi.

2.3 Verstärkung interethnischer Spannungen durch Tötung von Hutu-Führern, deren Urheberschaft man Habyarimana und seiner MRND-Partei zuschob.

2.4 Verschleierung der ethnischen Identität der FPR durch Rekrutierung von einigen sich zur FPR-Ideologie bekennenden "Vorzeige-Hutu".

2.5 Suche nach einem Hutu, den man an die Spitze der FPR setzen konnte, um sich als nationale Einheitsbewegung geben zu können.

2.6 Hervorbringung von Spannungen zwischen den politischen Parteien zur Zersplitterung der Opposition gegen Habyarimana, um den Einfluß der Parteien auf der politischen Bühne Ruandas zu schwächen und auf diese Art die FPR als einzige geschlossene politische Bewegung zu stärken.

2.7 Unterwanderung der politischen Parteien.

2.8 Unterwanderung der Jugendorganisationen aller Bewegungen.

2.9 Förderung der politischen Opposition gegen Habyarimana durch Organisation von Partei-Demonstrationen, die zu Unruhen führen sollen, um auf diese Weise Unzufriedenheit bei der Bevölkerung zu schüren, die wiederum die Notwendigkeit eines Regimewechsels rechtfertigen sollte.

2.10 Verleumdung der Katholischen Kirche, die die Gleichheit der Menschen predigte und der Masse des Volkes Bildung vermittelt hat.

2.11 Ermordung einer großen Zahl von Hutu-Priestern, um sie später durch Tutsi-Priester ersetzen zu können.

2.12 Terrorisierung der katholischen Missionare, damit sie das Land verlassen, da sie lästige Zeugen und Hindernisse bei der Ausführung der FPR-Pläne darstellen.

2.13 Tötung alter, die Geschichte Ruandas kennender Missionare, weil sie für die Ereignisse von 1959 verantwortlich waren als die Tutsi die Macht zugunsten einer von diesen Missionaren in den sog. Kleinen Seminaren ausgebildeten Elite verloren.

2.14 Bedrohung von ausländischen Truppen, die zum Schutz der Tutsi intervenieren könnten.

2.15 Beim Eintreffen der UNO-Blauhelmsoldaten sollte versucht werden, sie durch Beeinflussung und Manipulation des UNO-Generals Dallaire mit Hilfe einer schönen Tutsi-Frau zu manipulieren.

2.15.1 Nutzung der persönlichen Beziehungen der Kanadierin Hélène NDASINGWA (Frau des Ministers Landoald Ndasingwa) zu ihrem Landsmann Dallaire, um auf diese Art Informationen über die UNO-Truppe zuerhalten und sie zu beeinflussen.

2.15.2 Ständige Information der UNO-Truppe über in Ruanda begangenen Verbrechen und Versuch, diese der Präsidentenpartei MRND und den Interahamwe-Milizen zuzuschreiben; politischer Mord; Sprengstoffattentate und Massaker an Zivilpersonen.

2.16 Instrumentalisierung der Wut der Hutu durch Beschuldigung, einen Völkermord gegen die Tutsi vorzubereiten.

3. Strategie auf der Ebene der Diplomatie und der Medien

Um die ruandische Regierung zu isolieren und das Regime Habyarimana zu diskreditieren, wurde folgendes beschlossen:

3.1 Infiltration von durch die FPR-Führung gefälschten Informationen in die diplomatischen Vertretungen in Kigali

3.2 Information der diplomatischen Vertretungen über in Ruanda begangene Verbrechen, auch über solche, die von der FPR zu verantworten waren, die man aber der MRND und den Interahamwe-Milizen zuschrieb.

3.3 Errichtung eines Radiosenders, um die FPR-Ideologie zu verbreiten und das Regime Habyarimana zu verteufeln. Diese Radiostation wurde MUHABURA getauft und die Leitung einem Tutsi-Extremisten anvertraut, der damals als Kommandant SHABANI RUTA bekannt war und später den Namen Major RUTAYISIRE Wilson tragen sollte. Radio MUHABURA, das den ganzen Tag über provokante Thesen über das Regime Habyarimana verbreitete, war für das ruandische Volk sehr schädlich, denn als Reaktion auf die gesendeten Meldungen haben "extremistische" Hutu ihren eigenen Radiosender Radio Télévision Libre des Mille Collines" (RTLM) aufgebaut, der die Hutu über die Taten der Tutsi unterrichtete und sie aufforderte, wachsam zu sein und sich gegen die Tutsi zu verteidigen. Es ist übrigens Radio MUHABURA gewesen, das die nationale Einheit durch Aufreizung des Ethnizismus, des Regionalismus und des Hasses zwischen den Parteien zerbrach.

Alle diese Strategien hat die FPR angewandt, aber nicht alle haben die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt. Obwohl die militärische Strategie ein voller Erfolg war, ist die FPR politisch gescheitert und dies wird schwer rückgängig zu machen sein. Alle den verschiedenen Ethnien eigenen Dämonen wurden geweckt und haben Haß in den Herzen von Tutsi und Hutu gesät. Beide Ethnien, obgleich einer Nation zugehörig, sind zu geschworenen Feinden geworden und ihr Zusammenleben ist nach meiner Einschätzung jetzt sehr schwierig. Es ist der FPR einerseits tatsächlich gelungen, die Hutu zu spalten und eine tiefgehende Opposition gegen das Habyarimana-Regime und seine MRND-Partei zu provozieren, andererseits hat das Verteufeln der MRND durch die FPR alle Gegner der FPR-Ideologie in der sog. "Power"-Bewegung zusammengeschweißt, die gemeinsam gegen die FPR kämpfte.

Angesichts dieses Mißerfolgs hat die FPR jenen makabren Plan der Ermordung des Präsidenten Habyarimana entwickelt, der das Land ins Chaos stürzen sollte. Er wurde als das Haupthindernis bei der gewaltsamen Machtergreifung angesehen. Das erste Treffen zur Planung der Ermordung fand in Kabale unter dem Schutz von Bischof Harerimana in den Gebäuden des Bistums statt. Später fanden solche Treffen in Mbarara im Hause des Generalmajors Salim Saleh, dem Halbbruder des ugandischen Präsidenten Yoweri Kaguta Museveni, statt. Man weiß ziemlich sicher, daß die Entscheidung zur Ermordung des Präsidenten Habyarimana im März 1994 in Bobo-Dioulasso in Burkina Faso in Anwesenheit von Major Paul Kagamé gefallen ist. Der Plan zur Ermordung von Präsident Habyarimana wurde den Inlands-Tutsi in Ruanda bekannt gemacht, die Kagamé vor den schlimmen Konsequenzen eines solchen Attentats gewarnt und ihn gebeten haben, einen solchen Fehler nicht zu begehen. Dessen Folgen und den zu zahlenden Blutzoll habe man im voraus absehen können. Aber Kagamé setzte auf einen Blitzsieg mit der Einnahme von Kigali binnen dreier Tage und erklärte, man müsse nur mit ca. 500 Opfern rechnen. Diese Bilanz schien der FPR angesichts der erwarteten vollen Machtübernahme in Kigali hinnehmbar. Die FPR kümmerte sich nur um das Schicksal der Tutsi-Diaspora, weil sie die Inlands-Tutsi als vom Habyarimana-Regime korrumpiert ansah. Dies erklärt, warum später der Tod von Tausenden von Tutsi die FPR nicht berührt hat. Sie hat im Gegenteil deren Unglück zur Legitimation für den Staatsstreich mit äußerer Gewalt benutzt.(1) Jegliche Intervention zum Schutz der Tutsi hätte die gewaltsame Machtergreifung der FPR behindert. Es ist klar, daß Kagamé ein Blutbad an der Tutsi-Bevölkerung brauchte, um später die geplante Tötung von Hutu zu rechtfertigen und immer vom Tutsi-Völkermord zu reden, der heute geradezu ein unerschöpflicher "Rechtfertigungs-Fonds" für seine Herrschaft geworden ist.

Als Fazit präsentiert sich die FPR-Macht der ganzen Welt als Befreier, obwohl sie doch nicht nur nichts zur Rettung der Tutsi getan, sondern jegliche Initiative zu ihrer Rettung blockiert hat. Heute will die FPR maximal vom Tod der Tutsi profitieren und schiebt die Verantwortung für den Völkermord ihren früheren Verbündeten - darunter der UNO - zu, die bisher die fürchterlichen Verbrechen der FPR gedeckt hat. Fünf Jahre nach der ruandischen Tragödie, befindet sich die UNO auf der Anklagebank, weil sie Komplizin der FPR war. Was wird die Internationale Gemeinschaft antworten, wenn eines Tages die Toten von Kibeho, aus den Flüchtlingslagern in Burundi und Zaire, aus Tingi-Tingi , aus Kisangani und Mbandaka auferstehen, nach Gerechtigkeit rufen und danach fragen, warum keine Untersuchungen zu Aufklärung dieser Verbrechen angestellt worden sind?

Die UNO, die mit Hilfe ihres Hohen Flüchtlingskommissars die Flüchtlinge hätte beschützen müssen, hat sie willentlich den Massakern überlassen. Heute wird die Rolle der UNO beim Völkermord an den Tutsi untersucht, morgen wird sie sich für das Blut von Hutu verantworten müssen, das durch die FPR vergossen wurde. Die Zahl der Hutu-Opfer ist größer als die der getöteten Tutsi, da mindestens 2 Millionen Hutu tot sind und weiterhin unter der Repression der FPR sterben.

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Fußnote 1:

Hinweis des Übersetzers: Im Text folgt nach force étrangère mit den "même Onusienne, qui interviendront au Rwanda pour sauver qui que ce soit" eine ihm unverständliche Ergänzung. Ist die Intervention gemeint, bei der tatsächlich nur Europäer expatriiert und gerettet wurden?

Quelle: Internet http://www2.minorisa.es/inshuti/hakiza.htm

(3.10.1999)